Ingo
Das Piusviertel in Ingolstadt ist geprägt durch eine strikte Linearität, ergänzt durch hohe Solitäre im Westen des Quartiers. Die klare Anordnung der Bauten in Kombination mit den großzügigen Grünflächen schafft einen fließenden Städtebau, dieser ist Grundlage der entwerferischen Idee. Das Bild des Viertels ist gezeichnet von einer Vielzahl an einstöckiger Bebauung für die Unterbringung von PKWs. Die Mobilität ist mit Garagen und Parkplätzen flach verteilt und über das gesamte Siedlungsgebiet verstreut.
Die Wohnanlage zeichnet sich im Bestand durch einen hohen Durchgrünungsanteil mit funktional gesetzten Wegeverbindungen und wenigen aber wohlplatzierten Nutzungsangeboten aus. Das Grundstück wird von einem umlaufenden Gehölzbestand gesäumt. Dieser bildet eine starke grüne Kulisse zu den wichtigen Hauptverkehrsverbindungen. Mit den beiden Neubauten bietet sich die Gelegenheit, die Wohnanlage gesamthaft zu betrachten und mit wenigen bewussten Eingriffen in die Bestandsstrukturen auf die kommenden Herausforderungen vorzubereiten. Bestandsstrukturen die für die aktive Nachbarschaft im Quartier schon jahrzehntelang ein Zuhause, Aufenthalts-, Spiel- und Aneignungsraum gilt es durch punktuelle Eingriffe weiterzuentwickeln, anstatt den Freiraum im Quartier neu zu erfinden.
Die Wohngebäude sind in einen parkartig durchgrünten Freiraum eigebunden. Großbäume im Bestand zeichnen die Übergänge zu den Großen Verbindungsstraßen im Süden und Osten aus. Mit ergänzenden Baumpflanzungen wird der umlaufende Gehölzsaum als Raumabschluss zu den Verkehrsräumen gestärkt und die Grüne Kulisse im Übergang zu den angrenzenden Quartiersräumen im Quartierscharakter unterstützt.
Pergolen und Vorgärten markieren die Gebäudeadressen und stärken die Lesbarkeit öffentlicher und privaterer Freiräume. Zwischen den Baukörpern und den orthogonal geführten Erschließungsfiguren spannt sich ein untergeordnetes, weiches Wegenetz auf. Die parkartige Binnenraumgestaltung bricht mit der Orthogonalität und Funktionalität im Bestand. Plätzchen und Aufenthaltsnischen sind in das geschwungene Wegenetz eingebunden. Es entsteht eine atmosphärische Quartiersmitte, ein Raum der neugierig macht und zum Entdecken einlädt.
In den verdichteten Wohnsiedlungen muss der Freiraum viel leisten. Er ist Kristallationspunkt für das Quartiersleben, Rückzugsraum, Abstandsgeber und Hoffnungsträger im Klimaschutz zugleich. Um diesen vielen Anforderungen gerecht zu werden, müssen die Schnittstellen zwischen Wohnen und Freiraum gut definiert sein. Vorgärten markieren die Adressseiten. Eine Gartenzone im Übergang zwischen Erdgeschoss und Gemeinschaftsgrün schafft als aktives Distanzband eine Pufferzone zwischen öffentlichen Freibereichen und den Erdgeschosswohnungen im Hochparterre. Kleine, vorgestellte Treppchen erschließen die Privatgärten aus den anschließenden Wohnräumen.
Die vielen PKW-Stellflächen im Quartier werden in Quartiersgaragen zusammengefasst. Kurzzeitstellplätze in den beiden Erschließungsstraßen ermöglichen trotzdem eine komfortable Erschließung der Wohnräume. Die Straßen können so zu aktiven Begegnungszonen umgestaltet werden. Der motorisierte Individualverkehr im Quartier wird reduziert. Die Straßenräume übernehmen im neuen, autoarmen Quartier andere Funktionen. Durch eine bewusste Reduktion der Belagsflächen werden Retentionsräume für Niederschlagswasser geschaffen. Baumsetzungen strukturieren die neuen, durchgrünten Straßen und verwandeln diese zu modernen entsiegelten Begegnungsräumen mit hoher Aufenthaltsqualität. Im Nordosten entsteht zwischen Quartiersgarage und Einzelhandel eine Platzfläche, die in die Nachbarschaft vermittelt.
Der Klimawandel zeigt sich in den Städten in langanhaltenden Hitzeperioden und zunehmenden Starkregenereignissen. Mit dem Vorschlag, das Dachwasser zur Versickerung in die Vorzonen, die Raingardens und in die Grünflächen abzuleiten, dort zurückzuhalten und verzögert ins Grundwasser zu versickern werden nicht nur die Niederschlagsspitzen im Quartier gebrochen und die Regenwasserkanäle entlastet sondern das Regenwasser wird gleichzeitig den Pflanzen verfügbar gemacht. In diesem Stadtökosystem können neue Vegetationsbilder in den Grünflächen entstehen die eine viel höhere Artenvielfalt zulassen und gleichzeitig positiv aufs Mikroklima wirken. Bei der Materialauswahl wird besonderen Wert auf versickerungsfähige Beläge und eine Entsiegelung in den zentralen Grünräumen gelegt. Atmungsaktive Bodenbeläge erfüllen die hohen funktionalen Anforderungen in den Haupterschließungsbereichen. Wassergebundene Parkwege mindern den Regenwasserabfluss und schaffen eine hohe Aufenthaltsqualität in den kleinen Platzbereichen und Spielflächen.
Neben der Pflanzung vieler neuer Klimabäume, wie beispielsweise Acer buergerianum, Fraxinus ornus, Liquidambar styraciflua, Amelanchier arborea, Quercus palustris, Ostrya carpinifolia und alten Apfelsorten, ist ein wichtiger Schritt zu mehr Biodiversität, die Artenarmen Rasenflächen strukturell anzureichern. Blumenwiesen als neue vielfältige Insektenhabitate können die weiten Grünflächen lebendiger und gleichzeitig deutlich pflegeleichter machen. Das Begrünungskonzept auf der Bodenebene wird durch bewusst gesetzte Fassadenbegrünungen an den Bestandsbauten ergänzt. Die Flachdächer der Neubauten und der Bestandsgebäude im Westen sind mit Biodiversitätsdachaufbauten versehen, die gleichzeitig den Regenabfluss minimieren und die Artenvielfalt fördern können, ohne die Bestandsstatik zu sehr zu belasten.